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Autor Thema: Vom Leben und vom Sterben – Gedanken zum Saisonstart 2020  (Gelesen 1324 mal)

letzte rille

  • Gast
Vom Leben und vom Sterben – Gedanken zum Saisonstart 2020
« am: Januar 23, 2020, 10:54:48 Nachmittag »
Das erste wirklich warme Wochenende wird bald vor uns liegen wie es wir seit Jahren gewohnt sind, und schon werden sich die ersten Unfallberichte in den Medien sich finden, wie Jahr für Jahr.
Lange Zeit hatte ich eine klare Meinung zum Thema Sterben bei einem Motorradunfall. Denn so merkwürdig es klingt: ich war der festen Überzeugung, dass ich einzig und allein die Sorge habe, dass ich mir lebenseinschränkende Verletzungen bei einem Unfall mit meinem Motorrad zuziehen könnte. Angst vorm Sterben hatte ich nicht, da ich das „vorbei sein“ schließlich nicht miterleben würde.
Mein Denken hat sich dazu in den letzten Wochen allerdings sehr verändert. Denn auch wenn ich den Tod noch nie herausfordert habe, ok. mit 200 km über die Landstraße, sprich risikofreudiger  Motorradfahrer bin ich schon, habe ich einfach den Gedanken verdrängt, was es denn tatsächlich bedeuten würde, wenn ich eines Tages keinen Schutzengel mehr an meiner Seite hätte. Nicht für mich, sondern für andere.
Gedanklich ist das für mich kein leichter Schritt; auch nicht, diesen Beitrag zu schreiben. Denn der Tod ist ein extrem heikles Thema und mit meinen Gedanken baue ich die Steine meiner ursprünglichen Schutzmauer – dass mein Tod mich selbst nicht tangieren würde – Stück für Stück zurück.
Da bin dann nur noch ich. Die Person die sich bewusst wird, dass Leben und Tod nur einen kurzen Moment voneinander entfernt sind. Nicht nur für alle anderen, sondern auch für sich selbst. Und die, die sich bewusst wird, dass es egoistisch ist zu denken: nach mir die Sintflut. Mein eigener Tod geht mich nichts an.
So schwer es mir also fällt, mit diesem Thema muss und will ich mich auseinander setzen. Das bedeutet nun nicht, dass ich Angst vorm Motorradfahren bekomme und mir deswegen die Freude nehmen lasse. Es bedeutet lediglich, dass ich mir möglicher Konsequenzen meines Handelns noch bewusster werde. Ganz nüchtern. Für mich selbst. Nicht nur für alle anderen zu denen ich stets sage: fahre besonnen und komm gesund wieder nach Hause!
Das erfordert Mut. Mut zum Leben und Mut zu sagen: ich habe dennoch Spaß daran. Denn nichts im Leben ist ohne Risiko. Du gehst zur Schule und plötzlich wirst du erschossen. Du steigst in ein Flugzeug und es stützt ab. Du befindest dich auf der Autobahn und ein LKW-Fahrer übersieht das Stauende. Du gehst zum Arzt und bekommst die alles vernichtende Diagnose. Ein Schiff ist im Hafen sicher, aber dafür wurde es nicht gebaut.
Unbesonnen und extrem risikofreudig bin ich schon unterwegs. Dass ich aufrecht gehen kann, keine starken Medikamente brauche, alle Gliedmaßen habe, hören, sehen und atmen kann – all das ist nicht selbstverständlich. Nicht alles ist deswegen perfekt in meinem Leben, aber perfekter als für die meisten anderen Menschen auf unserem Planeten.
Als ich einen Unfall hatte und dachte jetzt ist es vorbei und mir das Adrenalin in den Kopf schoss, dachte ich wie diese
Situationen haben wohl die wenigsten vor mir schon erlebt. Auch das macht mir keine Angst oder beeinflusst mich negativ in meinem Fahren. Dennoch gehen sie jedes Mal durch Mark und Bein und holen einen direkt auf den Boden der Tatsachen zurück.
Einige Monate später dachte ich wieder über die Situation nach. Wie würde es mir ergehen, wenn es mir in einer ähnlichen Situation nicht gelingen würde, einen Unfall zu vermeiden? Vielleicht sogar dabei sterbe? Emotional kann ich dieses Gefühl fast nicht verarbeiten. Aber mir wurde ein weiteres Mal klar: solange es in meiner Macht steht, möchte ich Leben und nochmals Leben, es genießen die Sonnenstrahlen genießen, wenn ich meine Mulistrada starte, was für ein erhabenes Gefühl.
Genau das versuche ich mir klar zu machen, wenn die Pferde doch mal mit mir durchgehen. Wenn ich vielleicht doch mal einen Tick zu schnell fahre, viel zu schnell. Einen Tick zu unkonzentriert bin, einen Tick zu kurz den Verkehr gecheckt habe. Denn soll toll das Motorradfahren ist – ein Leben voller Trauer, Sehnsucht und Schmerz der Hinterbliebenen ist eine übertrieben große Leichtsinnigkeit nicht wert. Wir haben so unheimlich viel selbst in der Hand. Davon war und bin ich stets überzeugt.
Natürlich gibt es Situationen im Leben, in denen man zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Da machen andere Fehler auf Kosten deiner Gesundheit oder deines Lebens. Oder du machst selbst einen Fehler. Genau das passiert, wenn Menschen agieren. Tagtäglich. Und dieses Risiko gehen wir jedes Mal ein, wenn wir auf unsere Bikes steigen und den Motor starten. Und wir gehen es sogar gerne ein. Jeder Motorradfahrer wird genau diesen Satz nur allzu gut verstehen können.
Aber ich möchte Euch um eines bitten: schaltet den Kopf niemals komplett aus.  Nehmt Rücksicht, seid konzentriert, rechnet mit den Fehlern anderer, denkt mit. Denkt an die, die zu Hause auf euch warten. Die Euch brauchen und lieben. Die ihr braucht und liebt. Denkt an Euch! Außerdem bitte ich Euch Schutzkleidung zu tragen. Aber sie wird eine Menge dazu beitragen. Sie garantiert nichts, aber welches Gefühl haben Eure Hinterbliebenen, wenn ihr bei einem Unfall mit mangelnder Schutzkleidung sterbt? Werden sie sich vielleicht ihr Leben lang die Schuld dafür geben, weil sie Euch nicht dazu gezwungen haben, welche zu tragen?
Ich wünsche Euch für die kommende Saison 2020 von Herzen alles Gute. Die letzte Saison war – was die Unfall- und Todesfallstatistiken betrifft – eine harte Saison. Zu viele mussten ihr Leben geben und dort sollt Ihr Euch bitte nicht einreihen. Fahrt. Habt Spaß. Lasst es Euch gut gehen! Genießt die Freiheit und dieses einzigartige Lebensgefühl. Und schließt danach Eure Lieben überglücklich in die Arme.
Ich freue mich wahnsinnig auf die Saison mit meiner Multistrada 1260S
Nichts kann mir im Moment den Spaß daran nehmen. Und das soll auch lange so bleiben.
PS Bitte nicht wieder meine vorherigen Beiträge kommentieren :jaja Es gibt niemals eine zweite Chance für den ersten Eindruck. ;D



« Letzte Änderung: Januar 23, 2020, 11:20:31 Nachmittag von letzte rille »

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Vom Leben und vom Sterben – Gedanken zum Saisonstart 2020
« am: Januar 23, 2020, 10:54:48 Nachmittag »
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