Wenn man drei unterschiedliche Bikes fährt - SBK, Naked und "Crossover-Tourensportler" (das wäre dann die Multi ;-)), ist man oft auch in drei unterschiedlichen Foren unterwegs. Da ich via PN und im Bilderthread angefragt wurde, wie ich die SF V4S erlebt hatte, poste ich deshalb meinen Fahrbericht auch hier. Er kann dem einen oder anderen vielleicht einen Eindruck vermitteln, was einem auf der Motorenseite bei der Multi-V4 erwarten könnte. Sicher wird dort die Konfiguration nochmals eine andere sein (Übersetzung, allenfalls 1200ccm und Euro 5a). Und es gilt wie immer: Probe fahren macht klug.
ACHTUNG! Viel Text! Fahrberichte neuer Modelle sind bei mir häufig so... Es hat aber auch ein paar Bildchen ;-).

Den V4 habe ich vorletztes Jahr und letztes Jahr mehrmals ausgiebig gefahren und war von Charakteristik, Laufkultur, Sound und Leistung ziemlich begeistert. Die semielektronischen Öhlins kenne ich seit der ersten Ausbaustufe und fand sie von Beginn weg gut, zumindest für meine Postur und mein Gewicht. Look & Feel der SF habe ich schon andernorts genug beurteilt. Bleiben also die wichtigsten Kapitel: Triebwerk in dieser Konfiguration, Fahrwerk und Ergonomie.
MotorMit dem V4 verlassen wir in mehrerer Hinsicht die bisherige Motorenwelt der Duc-Nakeds. Damit man eine Vorstellung kriegt: Im ersten Gang liegen bei 50km/h um die 5'000 rpm an. Diesen ersten Gang kann man ausdrehen bis 14'500 rpm. Bei sportlicher Fahrweise bewegt man sich auf der LS im 2. und 3. Gang, gelegentlich auch im 1. Der nutzbare Drehzahlbereich ist gigantisch.
Aber zurück zum Startknopf und den Lebenszeichen, die er dem Vau-Vierer entlockt. Tja, irgendwo in Italien müssen die Schallwellen anscheinend einfach gegen dickere Luft ankämpfen, bis sie sich irgendwann zu den Messgeräten verirren. Eingestöpselte Jugendliche laufen auf jeden Fall dank dem Streetfighter-Frühwarnsystem weniger Gefahr, den roten Blitz zu übersehen. Es ist nicht abartig laut, nein, aber doch sehr gehaltvoll, dumpf und zweizylindrig klingend im unteren, luftiger und vierzylindriger im oberen Drehzahlbereich. Dabei darf man nicht vergessen, dass der Auspuff durch seine Bodennähe und zentrale Positionierung für den Fahrer klar lauter klingt als ein höher und weiter hinten auspuffender ESD. Das Phänomen ist von der Pani bestens bekannt. Mir gefällt der Klang, vor allem im unteren Drehzahlbereich. BTW: Mein Vorführer war offen, 1000er Service gemacht.

Ab 2000 rpm kann man eigentlich fahren, hat aber nie unter 4000 auf der Uhr. Ab 6000 ist der Zug bereits richtig kräftig, ab 9000 geht es wirklich heftig vorwärts. Das Ganze sehr kultiviert: Es fühlt sich an wie ein «progressives» Gummiband. Dreht man einen Gang voll aus, ist die Hölle los. Bleibt man zwischen 4000 und 7000 rpm, kann man das Bike völlig stressfrei und chillig bewegen. Der Motor hat diesbezüglich Qualitäten, die der V2 nicht bieten kann. Aber… nein, beenden wir zuerst die Lobeshymne: Ein Motor mit enormer Leistung, guter und kräftiger Mitte, Manieren und trotzdem genügend Charakter. Es macht einen Riesenspass, die Leistung ansatzweise und gelegentlich auch etwas mehr auszuschöpfen, aber es ist auf der LS äusserst schwierig, den Power of Tower mehr als nur selten zu erklimmen. Auf der Renne wird dieses lineare, druckstarke Triebwerk mit enormem Drehzahlband eine Offenbarung sein und die Klasse der Nakeds in neue Dimensionen vorrücken lassen.
Das Aber: In den LS-Geschwindigkeitsregionen ist mit der langen Übersetzung (die technisch gesehen nicht zu lang ist, wenn man erlebt hat, was dieses Treibwerk zu leisten vermag) gegenüber einer 140 oder 150 PS Twin-Naked kein Blumentopf zu gewinnen. Auch auf Passstrassen: Die 50 Mehr-PS kommen nie zum Zug, werden vermutlich fast nie eingesetzt. Das ist nicht schlimm, aber auch das spezielle Grinsen, das einem überfällt, wenn man bei der SF V4 die Schleusen von 9000 bis 14500 öffnet, wird nur selten zum Zuge kommen. Ok, es gibt viele andere Grinsvarianten, denen die SF Vortrieb leistet 😉.
Wie sieht das denn im Vergleich mit einer Monster 1200 oder etwas einer Pani 1299 aus? Nun, beide sind kürzer übersetzt. Das Beschleunigen von 50 auf 100 bietet mir mit den V2-Rüppeln einen höheren Erlebniswert. Es ist weniger kultiviert, wirkt kräftiger, urtümlicher, weil in diesen Geschwindigkeitsbereichen der V4 wegen der Übersetzung mit halber Leistung oder weniger läuft und zudem auch noch sehr linear hochdreht, ohne irgendwelche Drehmoment-Rülpser. Man muss es hintereinander auf der gleichen Strecke erleben, um es zu verstehen: Ein eher «synthetisches» Gummibandgefühl gegen den im direkten Vergleich ungehobelten Treckermotor.

Weil der V4 ab 9000 rpm dermassen zuschlägt, verleitet er dazu, deutlich zu schnell unterwegs zu sein: Erlebniswert besonders hoch, wenn Drehzahl besonders hoch.
Damit mich niemand falsch versteht: Der V4 ist ein faszinierendes Triebwerk und bei weitem das Beste, was ich in den letzten Jahren an Vierzylindern erlebt habe. Enorme Durchzugskraft, unglaublich breiter nutzbarer Drehzahlbereich, irre Höchstleistung, fantastische Laufkultur. Macht durchaus süchtig. Die speziellen Vibes des L-Twins, ob Superquadro oder 11° Testastretta, vermisse ich dennoch. Aber man kann ja beides haben 😉.
FahrwerkDie Grenzen dieses Fahrwerks auszuloten, wird mir auf der LS nicht gelingen, schon gar nicht auf einer Probefahrt. Das erste, was auffällt, ist die sagenhafte Leichtigkeit, mit der sich die SF dirigieren lässt. Man steuert sie schon fast mit den Augenbrauen. Das semi-elektronische Öhlins in der aktuellsten Ausbaustufe ist eine Wucht. Hat man in den ersten Versionen die Unterschiede in den Einstellungen noch etwas weniger deutlich mitbekommen, kann man jetzt die Charakteristik der Federung sehr deutlich beeinflussen. Und es federt hervorragend. Feinfühlig, hinten und vorne nie einen Hauch Gripprobleme, was allerdings im Rahmen der Testfahrt auch kein Wunder war. Ich habe mich aber auch auf holprigen Strassen herumgetrieben und war sehr angetan, wie die SF trotz straffer Einstellung viele Unebenheiten einfach wegbügelt.
Ebenfalls überzeugend: Das Halten der Linie. Sehr zielgenau, sehr stabil und trotzdem enorm agil. Wenn ich mit Fahrwerken vor 20 Jahren vergleiche, die mit Lenkungsdämpfern bestückt waren, ein Riesenunterschied. Dieser Lenkungsdämpfer behindert die Agilität nicht im Mindesten, man spürt ihn schlichtweg nicht, dennoch wird die Fuhre beim Aufsetzen des Vorderrads sofort wieder stabil bzw. bleibt es.
Mit den Reifen bin ich nicht vollends glücklich: Der DRC II hat mit Sicherheit absolut genügend Grip und ist auf dem Hinterrad für mich extrem gelungen. Auf dem Vorderrad passt mir eigentlich auch fast alles. Fast: Mit der Neigung, beim heftigen Bremsen seitlich auszubrechen, kann ich mich nicht anfreunden. Ich vermute, dass die Karkasse einfach zu weich ist, kann mich natürlich auch irren. Ich fahre/fuhr auf meinen Bikes mehrfach die Kombi S22 vorne (steife Karkasse) und DRC II hinten und das passt wie die Faust aufs Auge (ist in der Schweiz erlaubt und anscheinend in D mittlerweile auch; nur die Grösse muss stimmen). Apropos Bremse: Ich musste sie zuerst ein paar Mal kräftig nutzen, dann griff sie völlig überzeugend.
ErgonomieErstaunlicherweise sitzt man auf der SF bezüglich Kniewinkel und Hüftwinkel besser als auf der Monster 1200, wobei es mir schon auf der 1299 so ging. Der Lenker, der optisch zu hoch wirkt, passt mir beim Fahren perfekt. Es ist mehr Druck auf den Handgelenken als bei vielen anderen Nakeds, die ich gefahren bin, aber völlig ok.
Die Vorderradorientierung ist gut, Hebeleien passen bei mir. Der Quickshifter/Blipper funktionierte unauffällig mit etwas grösserer Toleranz für nicht ganz energisch durchgeführte Schaltmanöver als bei der 1299.
FazitEin ganz grosser Wurf, der durchaus polarisiert. Man muss sie wirklich Probe fahren und sich auf die im Vergleich zu den bisherigen Nakeds aus Borgo Panigale geänderte Charakteristik einlassen. Fahrer von mehrzylindrigen Fremdmarken, die nichts mit den Duc-Twins anfangen konnten, werden hier auf jeden Fall fündig. Mich hat sie fasziniert, obwohl ich Schlimmes fürchte, wenn ich sie mir hole und versuche, unter dem Radar zu bleiben. Als einzige Duc im Fuhrpark würde ich sie aber nicht wählen: Mit würde der V-Twin (L-Twin genau genommen) fehlen.
